Lähmt Corona nach dem öffentlichen Leben auch die globale IT-Infrastruktur? Zu Beginn der zwölften Kalenderwoche sah es tatsächlich ganz danach aus: Bundesweit schlossen Schulen, Arbeitnehmer flüchteten zunehmend vor dem Virus ins Homeoffice – und zeitgleich ging Microsofts Collaborationslösung Teams in die Knie. Inwieweit die virale Ausnahmesituation zu den Cloud-Problemen beigetragen hat, ließ der Anbieter zwar offen. Nichtsdestotrotz stand spätestens jetzt die Frage nach Belastung und Belastbarkeit öffentlicher Kommunikationsinfrastrukturen im Raum.
So steigt der Datenverkehr
Und die blieb nicht lange unbeantwortet. Einen ersten Anhaltspunkt für steigende Durchsätze liefert dabei Akamai. Der Betreiber eines Content Delivery Network beobachtete demnach, dass der Netzwerktraffic besonders stark in jenen Ländern stieg, die zuerst vom Corona-Virus betroffen waren. Auf den Vorjahreszeitraum bezogen habe der Durchsatz in China, Korea, Japan und Italien zu Jahresbeginn im Schnitt um 25 Prozent mehr zugelegt als im Rest der Welt.
Auch der Internetknoten DE-CIX in Frankfurt bestätigt im Zuge der Corvid-19-Pandemie einen steigenden Datenverkehr. Der habe um durchschnittlich um zehn Prozent zugelegt und erreiche nun über 9,1 Tbit/s. Ähnlich Zuwächse verzeichnete auch F-Secure: Seit Anfang März haben die Nutzer von Private VPN ebenfalls um knapp zehn Prozent mehr Bandbreite beansprucht als zuvor.
Überdurchschnittlich stark gestiegen ist laut DE-CIX der Traffic von Video-Konferenzlösungen. Um 50 Prozent legten die übermittelten Datenvolumen von Lösungen, wie Skype, WebEx oder Teams zu. Online-Spieler und soziale Netzwerke wurden um 25 Prozent stärker genutzt.
Netzwerkbetreiber liefern Zahlen
Die deutschen Netzbetreiber zeigten sich zu Beginn der Coronakrise gut für kommende Anforderungen gerüstet und berichteten zunächst von vergleichsweise moderaten Steigerungen beim Datenverkehr. Am Mittwoch der Kalenderwoche zwölf lag die Datennutzung im Vodafone-Festnetz beispielsweise um – so der Wortlaut des Anbieters – „lediglich rund 30 Prozent“ über normal. Zugleich wurden per Mobilfunk weniger Daten übertragen, jedoch 35 Prozent mehr Sprache.
Bis Ende März stieg der Datenverkehr im Festnetz nochmals an; und liegt nun circa 50 Prozent über normal. Im Mobilfunk lagen die Datentransfers derweil minimal unter üblichem Niveau; im Festnetz wurde 68 Prozent mehr als vor der Coronakrise telefoniert, im Mobilfunk 27 Prozent.
Daraus schließt der Anbieter: „Deutschland surft vermehrt in den eigenen vier Wänden. Und die persönlichen Gespräche mit Freunden, Verwandten und Kollegen nehmen deutlich zu.“
Homeoffice-Effekt
Auch bei Telefónica Deutschland beobachtet man veränderte Nutzungsmuster und spricht dabei von einem „Homeoffice-Effekt“, das heißt: Im Festnetz steigt die Datennutzung zwischen 8 und 17 Uhr sichtbar an, die Sprachtelefonie nimmt deutlich zu. Einen Anstieg der mobilen Datennutzung gebe es nicht, vielmehr verlagere und erhöhe sich die Datennutzung bei Festnetz/DSL.
Darüber hinaus berichtet Telefónica von Mobilfunknutzern, die sich weniger bewegten als regulär. Dem entsprechend würden auch Mobilfunkstationen in Gewerbegebieten oder Einkaufsstraßen weniger genutzt als an herkömmlichen Werktagen.
Nokia misst mit
In besonders verkehrsreichen Abendstunden konnte Telefónica zunächst keinen nennenswerten Effekt feststellen. Dem stimmt Nokia nur teilweise zu. Der Netzwerkausrüster hat nach eigenen Angaben Daten zu verschiedenen westeuropäischen Netzen erhoben und diese auch für die Nutzer des Streamingdienstes Netflix aufgeschlüsselt. Demnach bewegen sich die Durchsätze mit einem Plus von 20 Prozent zwar im typischen Rahmen. Allerdings habe sich die Nutzung verlagert: Streams werden früher am Tage abgerufen; an Tag 1 des Lockdown habe sich das Streaming-Volumen um neun Uhr beinahe verdoppelt. Besorgniserregender sei jedoch die Netflix-Nutzung am Wochenende, an dem Netze ohnehin schon besonders unter Last stünden. Hier haben die Spitzen zwischen 54 und 75 Prozent zugelegt.
Ingesamt konnte Nokia an Werktag 1 des Lockdown ein um 30 bis 80 Prozent gestiegenes Datenvolumen feststellen.Über das erste Lockdown-Wochenende hinweg habe der Verkehr zwischen 34 bis 97 Prozent zugelegt.
Zuversicht und stabile Zugangsnetze
Bislang geben sich die Netzbetreiber zuversichtlich, aktuelle und kommende Netzlasten störungsfrei zu bewältigen. Exemplarisch sei hier die Aussage eines Pressesprechers der Deutschen Telekom wiedergegeben. Demnach bereite man sich auf ausgedehntere Ausgangssperren und damit einhergehende Netzlasten vor: „Dazu gehört auch, dass wir verschiedene temporäre Planungen haben, welche dann aus der Schublade geholt werden können, wenn sich Netzlasten deutlich verschieben.“
Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA), beruhigt ebenfalls: „Die Netze sind derzeit stabil und gravierende Beeinträchtigungen werden aktuell nicht erwartet. Die Anbieter sind auf eine Zunahme des Datenverkehrs gut vorbereitet“.
Netflix und Netzneutralität
Nichtsdestotrotz begrüßt man bei der BNetzA die proaktiven Maßnahmen von großen Inhalteanbietern, wie Netflix, Youtube, Amazon oder Facebook. Diese Anbieter haben ihre Übertragungsqualitäten für Streamingdienste europaweit so angepasst, dass alle Inhalte weiterhin mit hoher Qualität verfügbar sind und gleichzeitig die Netze entlastet werden.
Zur Bewältigung unerwarteter Überlastungen im Telekommunikationsnetz hat die Bundesnetzagentur zudem einen Leitfaden mit Lösungen und Maßnahmen für ein zulässiges Verkehrsmanagement veröffentlicht. Diesem zufolge können Netzbetreiber in Einklang mit der Netzneutralitätsverordnung zulässige Verkehrsmanagementmaßnahmen anwenden. Hierzu zählen:
- Priorisierung von Telefoniediensten und anderen hochperformanten Diensten;
- Reduzierung der Verkehrslast bei datenintensiven Diensten;
- Maßnahmen, die sich auf die Internetzugangsdienste als Ganzes beziehen.
Peering Points halten Kapazitäten vor
Neben ihren Zugangsnetzen beobachten die Netzbetreiber zudem die Lage an den Peering Points – also jenen Knoten, an denen sich Betreiber untereinander sowie mit Anbietern datenintensiver Inhalte vernetzen. Von Vodafone heißt es dazu: „Hier sind wir bereits in Abstimmung mit anderen relevanten Unternehmen, um einer möglichen Traffic-Steigerung mit zeitnahen Ausbaumaßnahmen und Lastverteilung auf beiden Seiten mit Hochdruck zu begegnen. Basierend auf den bisherigen Entwicklungen und Maßnahmen sehen wir in der jetzigen Situation keine Veranlassung, bestimmte Dienste zu depriorisieren.“
Internetknotenbetreiber DE-CIX hält nach eigenen Angaben stets 25 Prozent zusätzliche Kapazitäten bereit und die mit COVID-19 einhergehenden Herausforderungen im Auge. Bestehende Interconnection-Dienste sowie Kapaziätsupgrades der Infrastruktur würden priorisiert; neue Kunden notfalls zurückgestellt.
Datenweitergabe und Warnmeldungen
Auf den Kampf gegen Corona reagieren die Netzbetreiber zudem mit weiteren Aktionen. So hat die Deutsche Telekom dem Robert-Koch-Institut (RKI) anonymisierte Massendaten aus ihrem Mobilfunknetz zur Erforschung der Verbreitung des Coronavirus zur Verfügung gestellt. Telefónica schließt nicht aus, ebenfalls anonymisierte und aggregierten Daten zur Eindämmung des Corona-Virus zu verwenden.
Bei O2 können Mobilfunknutzer außerdem vorübergehend nach Verbrauch ihres Inklusivvolumens weitersurfen – ohne Zusatzkosten, dafür aber gedrosselt auf 384 kbit/s. Vodafone hat kurzerhand die eigene Netzkennung kreativ abgewandelt: Smartphonenutzer erhielten mit „#StayHome VF.DE“ die Aufforderung, sich am Social Distancing zu beteiligen.